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Julius Tambornino | Pressetext für die Ausstellung Lichträume in der Galerie Emmanuel Walderdorff

Sept. 2020

 

Man muss sehr weit zurückgehen um zu einem Punkt der Geschichte zu gelangen, an dem die Architektur unserer Spezies einzig die profane Bedeutung einer schützenden Hülle hatte. Die artifiziellen Räume, die wir Menschen uns über die Jahrhunderttausende erschaffen haben, sind vieldeutige Kulturzeugnisse – sie zeigen Fort- und Rückschritt nicht nur auf technologischer sondern auch auf soziologischer Ebene an. Die Architektursprache einer Epoche wirft den Historikern ein wichtiges Schlaglicht auf den Status vergangener Gesellschaften und auch für den Zeitgenossen ergeben sich lehrreiche Rückschlüsse beim Blick in unsere Städte. Seine Wurzel hat dieser enge Zusammenhang jedoch in einem gar tiefer liegenden Verhältnis. Architektur zeugt von einem urtümlichen Drang des Menschen danach, sich den Raum ebenso zu rastern und zu unterwerfen wie die Zeit. So alt wie dieses Bedürfnis ist auch eine damit verbundene und unvermeidliche Bruchstelle: Die Architektur lebt von der Vorstellung, die Wirklichkeit fragmentieren zu können und durch die Erzeugung eines Innen und Außen in zwei unabhängig voneinander existierende Zustände aufzutrennen. Doch wie belastbar ist die Grenze dazwischen und wo entpuppt sie sich als Illusion?

 

Dénesh Ghyczy, in dessen Malerei sowohl Licht als auch Brechungen schon früher eine zentrale Rolle eingenommen haben, hat sich in den vergangenen Jahren künstlerisch sehr intensiv mit einem spezifischen und buchstäblichen Durchbruch beschäftigt, der aus rein praktischen Gründen für jedes Bauwerk obligatorisch ist: Mit dem Fenster als indirektem Motiv inhaltlich verbunden zeigt seine Werkreihe, wie unerbittlich das Licht den Vorhang der Architektur überall auseinanderreißt und den künstlichen Raum mit seiner natürlichen Umgebung verschmelzen lässt. Ghyczys Gemälde fangen den Moment einer spezifischen Raumerfahrung ein, indem sie ihre Protagonisten in prominenter Architektur und aus der Perspektive des stillen Beobachters zeigen. Der eigentliche Darsteller ist jedoch der Raum selbst und insbesondere das Licht, das sich durch die Fensteröffnungen hereinschiebt und wie eine wunderschöne, aber unaufhaltsame Ausdehnung in schillernden Farben auf die Oberflächen legt.

Es sind gerade die offenen Räume des Bauhaus- und Internationalen Stils, deren Urheber bereits ihrerseits an einer Auflösung von Innen und Außen interessiert waren, die in den Gemälden von Ghyczy wieder auftauchen und deren Konzeption hier malerisch zur Vollendung gebracht wird.

Die Personen darin fügen ein offenes Narrativ hinzu und dienen dem Betrachter gleichzeitig als Projektionsfläche – wir sehen sie vertieft in eine Handlung oder versunken in den Blick durchs Fenster. Anders als bei den berühmten Vorbildern dieses Bildtypus aus der Zeit der Romantik geht es hier jedoch nicht um die Naturerfahrung im Sinne einer Konfrontation und um die Brüchigkeit des menschlichen Daseins, die sich darin offenbart. Ganz im Gegenteil, hier fließt alles ineinander: Der Mensch, seine natürliche und auch die von ihm erschaffene Umgebung – nicht im Einklang, sondern als komplexe Harmonie.

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